Landwirte reden Klartext
  • „Ein geregeltes Privatleben wäre ohne Wachstum nicht möglich gewesen“ Walter Sans, Milchviehhalter

     

Das Ziel: 300.000 Liter Rohmilch pro Monat – mindestens. Walter Sans ist Milchviehhalter aus Leidenschaft und behält doch immer seine Betriebszahlen im Blick. Der Landwirt aus dem badischen Walldürn ist keiner, der jammert. Er setzt auf Innovation und zufriedene Kühe, um mit seinem Betrieb erfolgreich zu sein.

Bloß kein Stress Maximales Tierwohl bei laufendem Betrieb

 

„Und weiter.“ Im Melkkarussell geht es ruhig zu. Nur ab und zu ruft Melker Robert den Tieren einen knappen Befehl zu. Schon rückt die nächste Kuh in den Stand nach und lässt sich das Melkgeschirr anlegen. Unaufgeregt steht sie mit 24 Artgenossen auf der drehenden Plattform, bis ihr Euter leergemolken ist. Das dauert knapp zehn Minuten. Routiniert verlässt dann eine nach der anderen das Melkkarussell wieder in Richtung Stall. Die nächsten warten schon.

Die Ruhe hat Methode: „Bei uns werden die Kühe nicht angeschrien“, verrät Walter Sans. Das verlangt er von jedem Mitarbeiter. Ihm geht es um Respekt vor den Tieren – und um die Milchleistung. Geschrei macht Stress. Stress macht Adrenalin. Und Adrenalin bremst den Milchfluss. Kühe mögen keine Aufregung. Sie wollen Kontinuität. Die bekommen sie auf dem Hof von Walter Sans. Ihre Tage laufen immer gleich ab und sie haben immer mit denselben Personen zu tun. „Unser Melker schafft etwa 100 Kühe pro Stunde – aber nur, wenn er keinen Stress verbreitet“, sagt der Landwirt.

Gerade hat er geholfen, ein Kalb zur Welt zu bringen. Jetzt freut er sich am Anblick der Kuh, die ihr Neugeborenes abschleckt. „Das sind immer die schönsten Momente.“ Daher gönnt er  Kalb und Mutter gerne gemeinsame Zeit, bevor die Kuh zurück in die Herde geht. Das ist Alltag auf dem Hof. Ein Milchviehbetrieb ist ein Unternehmen. „Es muss immer weiterlaufen“, so Walter Sans.

Weiter heißt: die Mutterkuh wird nach einer Erholungsphase wieder in ihre Stallgruppe integriert, wo sie frisst, widerkäut und Milch produziert. Die weiblichen Kälber werden großgezogen, um später selbst Milchkühe zu werden. Weiter heißt auch, dass die Bullenkälber für den Verkauf gemästet werden. So ist das, auch wenn das nicht jedem gefällt. Das Trennen von Kalb und Mutter wird Milchbauern immer wieder vorgeworfen. Walter Sans weiß das und es ist ihm nicht egal. Er sagt: „Ich bin kein Mutterkuhhalter, ich ziehe Milchkühe groß und will dass sie alt werden. Meinen Tieren soll es gut gehen, aber ich kann ihnen nicht alles bieten.“

Geboten bekommt sein Milchvieh vor allem weideähnliche Ställe. Ein Dach schützt vor Regen und Sonne. Außenwände gibt es nicht – dafür aber viel Platz. In Gruppen bewegen sich die Kühe in mehreren Laufställen. Sie laufen frei, haben weiche Liegeboxen mit Stroh und jederzeit Zugang zu Futter und Wasser. Als Herdentiere fühlen sie sich auch in größeren Gruppen wohl – Rangkämpfe inklusive. Walter Sans und sein Team achten darauf, dass einzelne Kühe nicht unter der sozialen Hackordnung leiden müssen. Auch Weidehaltung ist ein Thema auf dem Hof. „Ich glaube, es tut den Tieren gut, wenn sie mal trockenes Klima an den Klauen haben und direkte Sonnenstrahlen abbekommen.“ Aber die Praxis sieht so aus: „Wenn ich sie mal rauslasse, steht die ganze Gruppe nach einer halben Stunde wieder am Tor und will zurück in den Stall.“ Trotzdem will der Landwirt hier dranbleiben. Denn geht es seinen Kühen gut, geht es ihm auch gut.

 

Jeder will mal Urlaub Wachstum als Schlüssel zum Privatleben

 

Massentierhaltung? Kühe sind Herdentiere. Sie mögen die Gemeinschaft mit ihren Artgenossen. In den Ställen von Walter Sans lebt das Milchvieh in Gruppen von bis zu 100 Tieren zusammen. Wirklich einsam ist das nicht. Und trotzdem: Die Laufställe sind nicht überfüllt. Die Kühe laufen nach Belieben herum. Walter Sans meint: „Jede Gruppe braucht eine gewisse Größe, damit die Tiere sich wohlfühlen.“ Ob das 100 oder gar 500 Kühe sein sollten, kann er nicht sagen. Seinen Milchkühen gehe es jedenfalls gut, betont der Landwirt. Das sieht er am Haarkleid, am Fressverhalten und am munteren Eindruck der Tiere.

Auf seinem Hof hält er heute über 400 Stück Milchvieh plus Nachzucht. Das war nicht immer so. Es ist die Konsequenz einer Weiterentwicklung des elterlichen Hofs weg vom Prinzip des reinen Familienbetriebs.


Die Idee dahinter: Alle Beteiligten sollen ein sozial verträgliches Leben führen. Das funktioniert nur mit Wachstum und Personal. „Deshalb haben wir heute sechs Mitarbeiter.“ Der Betrieb, den er 1996 von seinem Vater übernommen hat, existiert so nicht mehr. Damals gab es 26 Kühe auf dem Hof und eine Landwirtsfamilie, die rund um die Uhr gearbeitet hat. Kühe kennen kein Wochenende, keinen Urlaub. Kühe fressen täglich und kalben auch nach Feierabend. „Das Ziel ist aber nicht, abends nur müde zu sein“, sagt Walter Sans. Er sucht die gute Balance zwischen seinem Beruf als  Milchviehhalter und einem Privatleben.

Den Grundstein dafür hat er mit dem Bau eines Melkkarussells gelegt. Die Anlage erlaubt ihm, bis zu 100 Kühe pro Stunde zu melken. Seine Kalkulation: Pro Mitarbeiter braucht er mindestens 60 Kühe, um kostendeckend zu arbeiten. Seine Erfahrung: „Ein Mitarbeiter ist kein Mitarbeiter.“ Denn bei Krankheit, an Wochenenden und in der Urlaubszeit fällt die doppelte Arbeit wieder auf ihn allein zurück. Heute kooperiert Walter Sans mit einem Partnerhof in einer gemeinsamen GbR. Die Gesellschaft bewirtschaftet gemeinsam über 400 Hektar Land, betreibt Milchwirtschaft, Bullenmast und Ackerbau, beschäftigt gemeinsame Mitarbeiter und bildet aus.  

Allein auf dem Hof von Walter Sans arbeiten sechs Angestellte, denen der gelernte Agrar-Betriebswirt das Tagesgeschäft anvertraut. Die Bedingungen der Zusammenarbeit sind geregelt. Dafür gibt es Arbeitsverträge. „Es ist etwas anderes, jemanden fürs Melken zu bezahlen, als auf die Unterstützung der Familie angewiesen zu sein“, so der Landwirt. Früher hat er seine Mutter täglich im Melkstand unterstützt, nur damit sie nicht alles allein machen muss. Einem angestellten Melker ist Walter Sans nichts weiter schuldig. Geregelte Arbeitszeiten und Urlaub für alle funktionieren aber nur, weil auf dem Hof viele Kühe gehalten werden. Landwirt Sans sagt, allein käme er auch mit 60 Tieren finanziell zurecht. „Aber freie Wochenende hätte ich dann nicht.“

Massentierhaltung? Walter Sans hat darauf keine echte Antwort. Lieber sagt er, dass er vor den Augen der Öffentlichkeit arbeitet. Und jeder bekommt mit, was auf seinem Hof geschieht. „Wer über mich urteilen will, soll genau hinschauen und sich erst mal die Hintergründe anhören.“
 

Grüner Strom aus Rindergülle So schrumpft der ökologische Fußabdruck

 

Es ist, wie es ist. Kühe rülpsen. Kühe furzen. Kühe hinterlassen Gülle. Emissionsfreie Milchviehhaltung gibt es nicht. Es wird sie auch in Zukunft nicht geben. Walter Sans weiß das.  Ihm ist klar, dass jede seiner über 400 Milchkühe täglich bis zu 230 Liter Methangas ausstößt. Er kennt die Stimmen, die in der Viehhaltung Bedrohung für das Weltklima sehen. Was soll er tun? Die Antwort des Landwirts lautet: „Gegensteuern.“

Jahr für Jahr produziert sein Betrieb etwa 10.000 Kubikmeter Rindergülle, die sukzessive als Dünger für Grünland und Felder ausgebracht wird. An diesem Prozess hat sich im Prinzip nichts geändert – doch der Landwirt hat einen entscheidenden Schritt dazwischengeschaltet. In einer kleinen Biogasanlage lässt er die Gülle seit Ende 2016 vergären. Dabei entsteht Gas, das einen Motor zur Stromproduktion antreibt. Damit erzielt er gleich zwei Effekte. Mit dem Grünstrom aus seiner Anlage minimiert er den ökologischen Fußabdruck seines Milchviehbetriebs. Und die Reste der vergorenen Gülle wirken weniger aggressiv auf die Umwelt, wenn er sie auf die Felder bringt. „Die Gülle ist sowieso da“, kommentiert der Landwirt. „Mit der Biogasanlage kann ich etwas Gutes damit tun.“ Nämlich: Die CO2-Bilanz seines Hofs verbessern und seine Jauche pflanzenverträglicher machen. Sie stinkt nicht mehr, weil der Ammoniak raus ist, und sie ist deutlich verträglicher für die Pflanzen.

Genau Zahlen zu seiner Emissions-Berechnung hat der Milchbauer nicht. Es ist auch nicht dringend sein Ziel, völlig klimaneutral zu wirtschaften. „Aber wo es geht, versuche ich die Umwelt zu entlasten.“ Dazu nutzt er auch die Dächer seiner Ställe, die er flächendeckend mit Fotovoltaik-Modulen bestückt hat, um Solarstrom zu erzeugen. Und so ist Walter Sans ganz nebenbei zum Energieerzeuger geworden und hat seinem Betrieb damit ein lohnendes Zusatzgeschäft erschlossen.

Alles dreht sich um die M.I.L.C.H. Aus dem Kerngeschäft entstehen neue Einkommensquellen

 

Auf einen Block zeichnet Walter Sans einen Kreis. In dessen Mitte schreibt er fünf Buchstaben. M.I.L.C.H.  „Das ist mein Kerngeschäft, um das sich hier alles dreht.“ Von sich selbst sagt der Landwirt, er sei kein „wütender Bauer“. Auf den Preis, den er für seine Milch bekommt, hat er keinen Einfluss. Gleiches gilt für die Politik. Walter Sans neigt nicht dazu, sich zu beklagen – auch wenn es zunehmend kompliziert ist, sich am Markt zu behaupten. „Man muss was schaffen“, sagt er. Was nach Durchhalteparolen alter Schule klingt, ist in Wirklichkeit modernes Unternehmerdenken.

Der Landwirt denkt parallel zu seinem Kerngeschäft ständig über neue Einkommensquellen nach, die sich aus seiner Milchviehhaltung ableiten. Beispiel: Im sogenannten Milchhäusle verkauft Walter Sans Rohmilch seit 2015 direkt an Endkunden aus der Region. Den traditionellen Direktverkauf auf seinem Hof hat er damit professionell weiterentwickelt. Kunden dürfen sich gekühlte Milch selbst am Automaten abfüllen. Die nötigen Flaschen gibt es –  natürlich mit aufgedrucktem Logo – direkt nebenan im zweiten Automaten.  Der Verkauf läuft autark und die Arbeit auf dem Hof geht ungestört weiter. Längst ist das Milchhäusle profitabel. Das freut den Landwirt und bestätigt seine These, dass Regionalität die Zukunft der Landwirtschaft sein wird. „Der Kunde will wissen, wo seine Lebensmittel herkommen und setzt auf kurze Wege.“

Doch der Gewinn steht bei dem Projekt nicht im Vordergrund. Walter Sans geht es hier vor allem um das Image seines Betriebs. „Das Milchhäusle ist unser Türöffner, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Von seiner Kundschaft erhofft er sich Kritik und Anregungen, die seinen Hof weiterbringen. So entstehen auch neue Geschäftsideen – beispielsweise der Gedanke, den Betrieb von konventionell auf Bio umzustellen. Walter Sans ist offen dafür. „Pro Liter könnte ich dann zehn Cent mehr für die Milch bekommen.“ Allerdings müsste er zunächst selbst Geld investieren. Ob er zum Bio-Bauern wird, ist vor allem eine betriebswirtschaftliche Frage. „Warum nicht, wenn es sich rechnet.“ Diese Denkweise hat ihn auch zum Energieproduzenten gemacht – und auch hier nutzt er vorhandene Ressourcen seines Betriebs. 

Auf den Dächern seiner Ställe ist Platz und an durchschnittlich Stunden 900 pro Jahr scheint die Sonne darauf. Deshalb sind die Dächer heute flächendeckend mit Solarpanelen bestückt, die sauberen Grünstrom erzeugen. Der wird  gemeinsam mit dem Strom aus der Biogasanlage verkauft, in der Walter Sans die Gülle seiner Tiere zu nutzbarer Energie macht. 

Hier generiert der Betrieb also  zusätzliche Einnahmen aus einem unvermeidlichen Abfallprodukt.  Und trotzdem: Walter Sans ist und bleibt vor allem ein Milchviehhalter. Aber mit Unternehmergeist und guten Ideen erweitert er seinen Einkommensradius.