Landwirte reden Klartext

Nach einem Virus-Einbruch musste Milchviehhalter Matthias Lensker seine komplette Kuhherde zum Schlachter bringen und verlor seine Einnahmequelle. Mit neuen Tieren hat der Familienbetrieb aus dem Münsterland einen Neustart unternommen. Doch es wird dauern, bis sich der Hof komplett erholt hat.   

Die Ungewissheit bleibt Landwirte müssen mit Unwägbarkeiten leben

 

BHV1. So heißt das Virus, das 2017 im Stall von Milchviehhalter Matthias Lensker festgestellt wurde. Routinekontrollen zeigten: Etwa 70 Prozent seiner Kühe trugen das Bovines Herpes-Virus. Danach ging alles ganz schnell. Das zuständige Veterinäramt sperrte den Hof im nordrheinwestfälischen Stadtlohn.  Innerhalb von drei Wochen mussten alle 250 Milchkühe sowie 150 Kälber und Rinder den Betrieb verlassen. Ihr Weg führte zum Schlachthof. „Irgendwann war der Stall dann leer“, erinnert sich der Landwirt. Und damit hatte der Hof seine Einnahmequelle verloren. So plötzlich kann es gehen: Keine Kühe, keine Milch, kein Verdienst. Bei Matthias Lensker dauerte diese Phase sechs lange Wochen. Heute stehen wieder Kühe in seinem Stall und der Betrieb läuft fast wie zuvor. Woher das Virus kam, bleibt ungeklärt. „Das ist unser größtes Problem“, sagt der Milchbauer. „Nur wenn wir seine Herkunft kennen, können wir uns effektiv gegen einen erneuten Einbruch schützen.“ Denkbar ist, dass ihn Klauenpfleger unbemerkt mitgebracht haben, die auch in den nahen Niederlanden tätig sind. Es kann auch sein, dass das Virus über den grenzübergreifenden Viehhandel mit Frankreich, Belgien und Holland eingeschleppt wurde. Matthias Lensker erzählt, es sei kein Geheimnis, dass im Nachbarland rund 40 Prozent des Kuhbestands den Erreger in sich tragen. Und niemanden kümmert es. Die Tiere dort sind auch nicht krank – nur infiziert. Genau wie die ehemalige Herde des Münsterländer Landwirts. Er stellt zudem klar: „Das Virus ist für Menschen ungefährlich.“ Aber: Deutschland nimmt an einem BHV1-Sanierungsprogramm der EU teil, an dem sich mehrere Nachbarländer nicht beteiligen – darunter beispielsweise die Niederlande. So einfach ist das. Matthias Lensker hat erlebt, wie rigoros Behörden durchgreifen. Es hat ihn Wochen gekostet, eine neue Milchkuhherde zu finden, auf seinen Hof zu bringen und im Stall einzugewöhnen. Und heute muss er damit leben, dass es ihn jederzeit wieder treffen kann. Sein Fall beschäftigte auch kurzzeitig die Öffentlichkeit. Es gab Zeitungsberichte und Leserbriefe. „Es wurde erst viel gemutmaßt und dann pauschal über die Landwirtschaft hergezogen“, erinnert sich Matthias Lensker. Aber so ist das in einer Gesellschaft, die sich zunehmend von der Arbeit auf dem Land entfremdet. „Es war schwer zu erklären, dass unsere Kühe zum Schlachter mussten, obwohl sie gesund waren“, so der Landwirt. Der Milchviehhalter sieht die Sache so: „Bei unserem Job wollen viele mitreden, obwohl sie keine Ahnung haben.“ Und er ist nicht mehr bereit, mit Leuten über seine Arbeit zu diskutieren, die sich nicht auskennen. Wer aber bereit ist, über die Landwirtschaft zu lernen, dem würde er jederzeit seine Hoftore öffnen.

Anders geht's nicht Wer Milchkühe hält, geht gut mit ihnen um

 

Auf dem Hof seiner Familie ist Matthias Lensker mit Milchkühen aufgewachsen. Das prägt und lässt den jungen Landwirt  Sätze wie diesen sagen: „Man will nicht mehr ohne sie sein.“ Für ihn ist es selbstverständlich, Verantwortung für seine Tiere zu übernehmen und ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten maximalen Komfort zu bieten. Sein Betrieb hat entsprechende Haltungsbedienungen geschaffen. In einem offenen Laufstall gibt es viel Bewegungsfreiheit für die Herde sowie geräumige Tiefstreu-Liegeboxen. Das hohe Dach wirkt im Sommer gegen Hitzestau. Für optimales Futter und frisches Wasser ist jederzeit gesorgt. Der Milchbauer legt zudem Wert auf einen achtsamen Umgang mit seine Kühen, Rindern und Kälbern. „Ich muss im Stall ihre natürliche Ruhe aufnehmen, also langsam und ohne Druck mit ihnen arbeiten.“ Lautes Schreien ist tabu – Kühe vertragen keinen Stress. Matthias Lensker sagt: „Wir wollen es dem Vieh so angenehm wie möglich machen, aber dabei dürfen wir nicht die Arbeitswirtschaftlichkeit vergessen.“ Denn die Tiere sind auf seinem Hof, weil er mit ihrer Milch sein Geld verdient.  Darum geht es. Das heißt: Die Kühe sollen funktionieren und eine möglichst hohe Milchleistung erbringen. Ein zugewandter Umgang, sowie optimale Fütterung und Haltebedingungen sind dafür schlicht die Voraussetzung. Er sagt, das ist allgemeiner Konsens und gelebte Praxis bei den Milcherzeugern. „Es geht gar nicht anders.“ Wer seine Tiere nicht gut behandelt, wirtschaftet schlecht und wird früher oder später scheitern, mutmaßt Matthias Lensker. An der Bevölkerung geht dieses Wissen indes vorbei, findet er. „Die Leute bekommen nicht mit, wie wir heute arbeiten und wie sich die Landwirtschaft verändert hat.“ Daher glaubt er auch nicht daran, dass die allgegenwärtige Diskussion um das Tierwohl ein absehbares Ende nimmt.  Auch die sogenannten Tierwohl-Siegel sieht der Milchviehhalter aus dem Münsterland kritisch.  Zu viele, zu uneinheitlich, zu sehr vom Marketing gesteuert. „Handelsketten und Konzerne wollen ihre eigenen Siegel, um ihre Produkte besser zu verkaufen, aber die Verbraucher haben längst den Überblick verloren.“ Außerdem: Günstiges Fleisch aus angeblicher Tierwohlhaltung anzubieten, hält Matthias Lensker für eine Täuschung der Verbraucher. „Wer Fleisch von gut gehaltenen Tieren haben will, sollte direkt beim Landwirt in seiner Nähe kaufen“, rät er. „Nur dort kann man sich überzeugen, wie die Tier leben.“ Ein Siegel kann das nicht leisten.

Die Natur kennt keine Standards Immer weniger verstehen das Tun der Landwirte

 

Krank sein? „Geht nicht.“ Freie Wochenenden? „Die Kühe müssen auch samstags und sonntags gemolken werden.“ Feierabend? „Wenn alles erledigt ist.“ 80-Stunden-Woche? „Damit habe ich kein Problem.“ Matthias Lensker ist gerne Landwirt. Auf diese Berufsbezeichnung legt er übrigens Wert. Bauer will er lieber nicht genannt werden – den Begriff findet er irgendwie negativ besetzt. Landwirt jedoch ist in seinen Augen ein moderner Beruf für kluge Köpfe, die mit Weitblick denken. „Wir sind Leute, die sich täglich neuen Herausforderungen im Einklang mit der Natur, dem Wetter und unseren Tieren stellen.“ Nur bekommt das kaum noch jemand mit. „Unsere Region ist landwirtschaftlich geprägt und viele Leute wissen hier noch, wie wir arbeiten“, sagt der Milchviehhalter aus dem Münsterland.  Aus seinem Umfeld hat er Verständnis und viel Solidarität erfahren, als sein Betrieb nach einem Virus-Einbruch in echte Schwierigkeiten geraten ist. Aber darüber hinaus? Da macht sich Matthias Lensker wenig Hoffnung. Denn: „Die Gesellschaft hat sich immer weiter von der Arbeit auf dem Land entfremdet“, findet er. Das allein macht ihn noch nicht sauer. Viel Arbeit, wenig Freizeit, mäßiges Einkommen – all das nimmt der junge Landwirt einigermaßen locker auf sich. „Aber die fehlende Wertschätzung und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft kann ihn richtig wütend machen.“ Ihm geht es dabei etwa um Rücksicht im Straßenverkehr, wenn er dort mit schweren Maschinen unterwegs ist, oder um Verständnis dafür, dass er auch mal spät abends oder am Wochenende Feldarbeit erledigen muss. „Das lässt sich nicht ändern, aber die Leute fühlen sich zunehmend gestört.“ Und er wünscht sich ein vernünftiges Preisbewusstsein der Menschen – immer noch billiger zu produzieren, funktioniert einfach nicht. Das gilt vor allem angesichts der wachsenden Qualitätsansprüche der Verbraucher.  „Gefragt sind nur noch perfekte Einheitsprodukte und wenn es die nicht gibt, wird über die Qualität geschimpft.“ Gemeint sind beispielsweise krumme Gurken oder marmoriertes Fleisch. Die Landwirtschaft tue ihre Bestes, um möglichst standardisierte Produkte zu erzeugen, versichert Matthias Lensker. „Aber das ist nicht immer möglich, weil wir eben mit der Natur arbeiten.“ Er hofft, dass es irgendwann zu einem Umdenken kommt und die Verbraucher auch Abweichungen akzeptieren.  Und dafür es aus der Sicht des Milchviehhalters wünschenswert, dass mehr Aufklärung direkt auf den Höfen erfolgt. „Tatsache ist mittlerweile aber, dass  sich die Landwirte aus Angst vor öffentlicher Kritik immer häufiger zurückziehen.“