Landwirte reden Klartext

Christian Schmidt leitet als Geschäftsführer einen  Milchvieh- und Ackerbaubetrieb in Sachsen-Anhalt. Er trägt Verantwortung für 30 Mitarbeiter und über 700 Kühe. Der Landwirt hat einen harten Job und eine deutliche Meinung zu den Schwächen im System, die ihm und vielen anderen Milcherzeugern auf unterschiedlichste Weise das Leben schwer machen.

Kinder sollten wissen, wo die Milch herkommt. Landwirtschaft – die vergessene Branche

 

In der Agrargesellschaft Siedenlangenbeck wird in beträchtlichen Dimensionen gedacht und gearbeitet. Der Betrieb bewirtschaftet 1.600 Hektar Acker- und Grünland und hält über 700 Milchkühe plus weibliche Nachzucht. Und trotzdem: „Es gibt bei uns in der Region noch größere Anlagen“, sagt Christian Schmidt. Als Geschäftsführer lenkt er die Geschicke der Agrargesellschaft in der nordwestlichen Altmark. Mit 30 Beschäftigten  ist der Betrieb der größte Arbeitgeber in der kleinen Gemeinde Kuhfelde in Sachsen-Anhalt und spielt auch im Umland eine Rolle als Wirtschaftsfaktor. Der Geschäftsführer stellt fest: „Wir verstehen uns als Partner der Menschen hier in der Region.“ Das Konfliktpotenzial mit der Nachbarschaft nennt er überschaubar. Dennoch kennt auch er Beschwerden von Anliegern über Düngefahrten an Wochenenden oder über Staubentwicklung beim Dreschen. Solche Leute sollten wissen: „Geerntet wird nur einmal im Jahr, damit erzielen wir unser Einkommen, das lässt sich nicht auf günstigere Tage verschieben.“ Als bewährtes Mittel gegen das Unverständnis der Nachbarn setzt Christian Schmidt immer wieder auf Aufklärung. „Ich sage den Betroffenen, warum wir so arbeiten müssen und dass kein böser Wille dahinter steckt.“

 

Auf dem Hof seiner Familie ist Matthias Lensker mit Milchkühen aufgewachsen. Das prägt und lässt den jungen Landwirt  Sätze wie diesen sagen: „Man will nicht mehr ohne sie sein.“ Für ihn ist es selbstverständlich, Verantwortung für seine Tiere zu übernehmen und ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten maximalen Komfort zu bieten. Sein Betrieb hat entsprechende Haltungsbedienungen geschaffen. In einem offenen Laufstall gibt es viel Bewegungsfreiheit für die Herde sowie geräumige Tiefstreu-Liegeboxen. Das hohe Dach wirkt im Sommer gegen Hitzestau. Für optimales Futter und frisches Wasser ist jederzeit gesorgt. Der Milchbauer legt zudem Wert auf einen achtsamen Umgang mit seine Kühen, Rindern und Kälbern. „Ich muss im Stall ihre natürliche Ruhe aufnehmen, also langsam und ohne Druck mit ihnen arbeiten.“ Lautes Schreien ist tabu – Kühe vertragen keinen Stress. Matthias Lensker sagt: „Wir wollen es dem Vieh so angenehm wie möglich machen, aber dabei dürfen wir nicht die Arbeitswirtschaftlichkeit vergessen.“ Denn die Tiere sind auf seinem Hof, weil er mit ihrer Milch sein Geld verdient.  Darum geht es. Das heißt: Die Kühe sollen funktionieren und eine möglichst hohe Milchleistung erbringen. Ein zugewandter Umgang, sowie optimale Fütterung und Haltebedingungen sind dafür schlicht die Voraussetzung. Er sagt, das ist allgemeiner Konsens und gelebte Praxis bei den Milcherzeugern. „Es geht gar nicht anders.“ Wer seine Tiere nicht gut behandelt, wirtschaftet schlecht und wird früher oder später scheitern, mutmaßt Matthias Lensker. An der Bevölkerung geht dieses Wissen indes vorbei, findet er. „Die Leute bekommen nicht mit, wie wir heute arbeiten und wie sich die Landwirtschaft verändert hat.“ Daher glaubt er auch nicht daran, dass die allgegenwärtige Diskussion um das Tierwohl ein absehbares Ende nimmt.  Auch die sogenannten Tierwohl-Siegel sieht der Milchviehhalter aus dem Münsterland kritisch.  Zu viele, zu uneinheitlich, zu sehr vom Marketing gesteuert. „Handelsketten und Konzerne wollen ihre eigenen Siegel, um ihre Produkte besser zu verkaufen, aber die Verbraucher haben längst den Überblick verloren.“ Außerdem: Günstiges Fleisch aus angeblicher Tierwohlhaltung anzubieten, hält Matthias Lensker für eine Täuschung der Verbraucher. „Wer Fleisch von gut gehaltenen Tieren haben will, sollte direkt beim Landwirt in seiner Nähe kaufen“, rät er. „Nur dort kann man sich überzeugen, wie die Tier leben.“ Ein Siegel kann das nicht leisten.

"Ein Begriff macht schlechte Bilder" Gute Tierhaltung ist keine Frage von Größe

Massentierhaltung. Christian Schmidt verwendet diesen Begriff nicht. Der Landwirt sagt, die Wortschöpfung stamme von Leuten, die sich mit der Tierhaltung nicht ausreichend beschäftigt haben. Der Ausdruck diene einzig dem Zweck, Bilder und  Assoziationen zu erzeugen. „Damit wird gezielt suggeriert, dass große Tierhaltungen grundsätzlich mit Qualen verbunden sind“, erklärt er. Für ihn passt der Begriff nicht. Denn maßgeblich ist immer der Umgang mit einem einzelnen Tier und dessen Haltungsbedingungen. Wenn hier alles passt, stellt sich die Frage nach der Betriebsgröße nicht. Der Geschäftsführer der Agrargesellschaft Siedenlangenbeck weiß wovon er spricht. In den Laufställen  des Betriebs leben deutlich über 700 Milchkühe sowie Kälber und Rinder. „Wir halten die Tiere in unterschiedlichen Gruppen und berücksichtigen dabei unter anderem ihr Alter und ob sie trächtig sind.“ Dieses Vorgehen dient einem durchdachten Stallmanagement und damit dem Ziel einer optimalen Versorgung der Tiere.

Christian Schmidt erinnert daran, dass Kühe Herdentiere sind. „Stehen sie allein oder auch nur zu dritt, bekommen sie nicht, was sie sozial brauchen.“ Demnach ist die Gruppenhaltung in Laufställen den Milchkühen zuträglich. Entscheidend nennt es der Landwirt, dass es den Tieren  gut geht. Hierfür ist  Fachpersonal ein bedeutender Faktor. Wenn nicht ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar sind, stehen Landwirte immer häufiger vor der Grundsatzentscheidung, ob sie eine verantwortungsvolle Tierhaltung noch leisten können. „Inzwischen geben Betriebe auf, weil sie kein geeignetes Personal finden“, so der Geschäftsführer. Nur zu gut kennt er selbst die Schwierigkeiten, Fachpersonal zu finden. Die Anforderungen an landwirtschaftliche Mitarbeiter sind hoch – wenig Freizeit, Wochenendarbeit, hohe Flexibilität und das bei vergleichsweise bescheidenen Löhnen.

Gerade junge Menschen lassen sich immer seltener auf diesen Berufszweig ein. Immerhin: Christian Schmidt sieht hier Vorteile für Betriebe seiner Größenordnung. „Unsere Betriebsgröße lässt eine faire Urlaubsplanung und verbindlich freie Wochenenden zu.“ Traditionelle Familienbetriebe haben es an dieser Stelle schwerer. Gerade vor diesem Hintergrund sieht er die sogenannte industrielle Landwirtschaft unkritisch. „Wenn große Betriebe entstehen, in denen Menschen im Schichtbetrieb spezialisiert ihre Arbeit verrichten können, kann das gut funktionieren.“ Vorausgesetzt, das Gesamtkonzept stimmt, Tierwohl kann stattfinden und es wird qualifiziert mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln umgegangen. „Wachstum von Betrieben begrenzt sich unter anderem durch die Frage, ob es Sinn macht, Futter von sehr weit entfernten Flächen heranzuschaffen und Wirtschaftsdünger dort auszubringen.“, meint der Landwirt aus der Altmark.

„Schluss mit den wilden Märkten“ Milcherzeuger brauchen eine Systemanpassung

 

Rund 16.000 Liter Rohmilch produziert die Agrargesellschaft Siedenlangenbeck jeden Tag. Abnehmer ist das Deutsche Milchkontor –  die größte Molkerei in Deutschland. „Unsere Milch wird unter anderem zu Produkten weiterverarbeitet, die unter dem bekannten Markennamen Milram vermarktet werden“, erklärt Landwirt Christian Schmidt. Das klingt alles vielversprechend – die Realität ist aber ernüchternd. Es geht dem Betrieb wie vielen anderen konventionell wirtschaftenden Milchviehhaltern, die mit dürftigen Erträgen haushalten müssen. Christian Schmidt spricht von grenzwertigen Milchpreisen: „Unsere Branche hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert und ist moderner geworden, nur der Preis für unsere Erzeugnisse ist  seit über 25 Jahren gleich geblieben.“ Dieser Umstand trifft die Agrargesellschaft in Sachsen Anhalt auf mehreren Ebenen. Notwendige Modernisierungen der Betriebsanlagen und Investitionen für zusätzliches Tierwohl sind schwer zu realisieren. An höhere Löhne für die 30 Mitarbeiter ist kaum zu denken. Denn die nächste Milchkrise kommt bestimmt und die Stabilität des Betriebs geht immer vor.

Auch deshalb gehört zum Betrieb seit 2010 auch eine Biogasanlage, in der Rindergülle und Futterreste energetisch verwertet werden. „In Zeiten schlechter Milchpreise muss man seine Ressourcen erschließen, um zusätzliches Einkommen zu generieren“, erklärt der Landwirt. „Die Einnahmen aus der Stromerzeugung, helfen dabei den Betrieb wirtschaftlich zu stützen.“ Positiver Nebeneffekt: Das Vergären in der Biogasanlange macht die Gülle als Dünger noch wertvoller. Denn sie ist dann für die Pflanzen besser verfügbar und verträglicher. Das ändert aber nichts an der Gesamtsituation, in der Christian Schmidt ebenso wie viele seiner Berufskollegen steckt. „Wir brauchen eine Systemanpassung, damit Milchviehhalter nicht ständig in Extremsituationen geraten“, fordert der Landwirt. Dass Preisentwicklungen in Wellen verlaufen, nimmt er noch hin. „Aber wenn die Täler dazwischen zu lang und zu tief werden, kann das Betriebe ohne zusätzliche Standbeine in den Ruin treiben. In diesem Sinne wünscht er sich von den  Molkereien, mehr hochwertige Markenprodukte, die Endverbraucher wirklich begeistern. Das würde die Produkte der Milchbauern weniger austauschbar machen. So lange Rohmilch von deutschen Betrieben mehrheitlich in Discount-Produkten mit der Aufschrift „Gut und günstig“ landet, entsteht immer mehr Preisdruck. „Und damit steigt das Maß der Ausbeutung von Menschen und Tieren weiter an“, so Christian Schmidt. Deshalb hofft er: „Dass wir auch als Gesellschaft die Kurve kriegen und nicht weiter auf wilde Märkte und Billigprodukte setzen. Hier ist auch der Lebensmitteleinzelhandel in der Pflicht und Verantwortung für eine höhere Wertschätzung der landwirtschaftlichen Produkte. “