Landwirte reden Klartext
  • „Unser aller Wohlstand beruht auf der effektiven Landwirtschaft“ Matthias Augst, Milchviehhalter und Ackerbauer

     

In siebter Generation bewirtschaftet seine Familie einen Hof in einer kleinen Westerwald-Gemeinde. Matthias Augst erzielt dort mit innovativen Ideen bemerkenswerte Ergebnisse mit Ackerbau und Milchviehhaltung. Was ihn aber sorgt: die zunehmende Entfremdung der Gesellschaft von der Landwirtschaft.

Besserwisser mit Wissenslücken Die Gesellschaft versteht die Landarbeit nicht mehr

 

Häufiges Unverständnis, Ignoranz, Ahnungslosigkeit. All das fällt Matthias Augst bei dem Gedanken ein, wie ihm große Teile der Gesellschaft begegnen – ganz allgemein, aber auch direkt in der Nachbarschaft. Sein Heimatort – ein Dorf mit knapp 900 Einwohnern in einer traditionell landwirtschaftlich geprägten Region. Selbst hier sind Konflikte mit den Einwohnern keine Seltenheit. „Leute beschweren sich, wenn ich bis in die Nacht Getreide dresche“, erzählt der Landwirt. Schleichend sei das Bewusstsein dafür verlorengegangen, dass in der Landwirtschaft mit dem Wetter gearbeitet wird. Bestimmte Tätigkeiten müssen erledigt werden, solange es trocken ist. Matthias Augst stellt fest: „Die Gesellschaft entfernt sich immer weiter von der Landarbeit.“ Das führt soweit, dass Anwohner die Feuerwehr verständigen, wenn er auf den Feldern Gülle fährt. „Sie haben befürchtet, dass irgendwo Gas austritt.“ Solche Unwissenheit erlebt er häufig auch kombiniert mit Bevormundung.

So festigt sich bei dem Landwirt der Eindruck, die Deutschen seien ein Volk von 80 Millionen Agrar-Fachleuten – und jeder weiß es scheinbar besser als die echten Profis. Beispiel Pflanzenschutzmittel. Immer wieder muss sich Matthias Augst von empörten Passanten vorwerfen lassen, er vergifte damit Tiere, Pflanzen und die Umwelt. In solchen Momenten hilft ihm nur, die Ruhe zu bewahren. „Wenn sie sich abgeregt haben, erkläre ich ihnen genau, welches Mittel ich einsetze, wie es wirkt und warum ich es überhaupt verwende.“ Aus Erfahrung weiß er: So kann er Kritiker erstens beruhigen und – was ihm noch wichtiger ist – aufklären. Das Wissen über die Arbeit auf dem Land sei bei vielen Leuten nur bruchstückhaft vorhanden und stehe oft unter dem Eindruck von Skandal-Nachrichten, die pauschal eine ganze Branche vorverurteilen. In dem Zusammenhang hat der Landwirt auch keine Sympathien für ein bekanntes TV-Format über Bauern: „Das Mainstream-Fernsehen stellt unsere Zunft dabei bewusst einseitig dar und prägt damit ein zweifelhaftes Image, das beim Publikum hängen bleibt.“ Matthias Augst weiß sogar von Landwirtskindern, die von Mitschülern wegen ihrer Herkunft verspottet werden. 
        
Was hilft? „Unser Hof ist immer offen für Menschen, die sich für uns und unsere Arbeit interessieren“, sagt Matthias Augst. Ihm liegt etwas daran, ein realistisches Bild davon zu vermitteln, was in den Ställen passiert und wie auf dem Land gearbeitet wird. Auch deshalb ist der Augst-Hof seit 2017 als „Lernort Bauernhof“ zertifiziert. Vor allem Kindergartengruppen und Schulklassen aus der Region können den Hof besuchen und mit allen Sinnen erleben, wie Landwirtschaft und Milchviehhaltung funktionieren. „Das ist die beste Öffentlichkeitsarbeit, die es gibt.“ Aber auch Erwachsene führt die Familie Augst regelmäßig über ihren Hof. Für die Landwirtsfamilie ist das einer der Wege, das Auseinanderdriften von Gesellschaft und Landwirtschaft ein wenig aufzuhalten.

„Ein geiler Beruf“ Konventionelle Höfe geraten in Vergessenheit

Matthias Augst sagt: „Landwirt ist ein geiler Beruf.“ Warum? Er ist Unternehmer und kann als solcher etwas entwickeln – und zwar genauso, wie er es sich vorstellt. Das begeistert ihn. Der Landwirt aus dem rheinland-pfälzischen Helmenzen produziert hochwertige Nahrungsmittel: Kuhmilch und Getreide. Dafür hält er etwa 60 Kühe samt Nachzucht und bewirtschaftet 215 Hektar Acker- und Grünland. Matthias Augst legt Wert darauf, als Unternehmer wahrgenommen zu werden.  Denn die tägliche Arbeit auf seinem Familienbetrieb verlangt von ihm ein hohes Maß an Agrar-Fachwissen und betriebswirtschaftlichem Know-how. Dazu  trägt er große Verantwortung – gegenüber den Verbrauchern, seinem Vieh und der Umwelt. Diese Dimension wird von der Öffentlichkeit aber kaum noch wahrgenommen, bedauert der Landwirt, der seinen Hof mit der Unterstützung seines Vaters und seiner Frau bewirtschaftet. Entweder haben die Leute das Bild eines naiven Bauern vor Augen. Oder sie denken an industriell organisierte Großbetriebe, die im Ruf stehen, Tiere und Umwelt auszubeuten. Konventionell geführte, nachhaltig wirtschaftende Betriebe werden von der Gesellschaft kaum noch gesehen. Gemeint sind Höfe, die beispielsweise auf weite Fruchtfolgen oder Milchkühe mit hohem Lebensalter setzten. Silke Augst findet das schlimm: „Schließlich geben wir uns an 365 Tagen im Jahr echte Mühe, gesunde Lebensmittel zu erzeugen.“

Auf dem Augst-Hof wird grundsolide gewirtschaftet und mit der Natur gearbeitet – nicht dagegen. Nur so kann es funktionieren. „Und wenn ich etwas nicht richtig mache, merke ich das direkt an meinem Kontostand“, erklärt der Landwirt. Hier liegt auch ein Grund dafür, dass Matthias Augst auf Mitarbeiter verzichtet. „Kaum ein Angestellter engagiert sich so, als würde er es für sich selbst tun.“ Also wird das Prinzip Familienbetrieb konsequent umgesetzt. Was nicht allein zu schaffen ist, erledigen Lohnunternehmer. Seine Bilanzen geben dem Agrar-Unternehmer Recht. Er gehört zu den deutschen Landwirten, die jedes Jahr aufs Neue versuchen, unabhängig von den Subventionen der Europäischen Union zu wirtschaften. Und das ist eine Leistung, die unsere Gesellschaft direkt betrifft.
 

Milchkühe mit Entscheidungsfreiheit Die Milchleistung – eine Frage von Geben und Nehmen

 

Jede Kuh im Stall von Matthias Augst hat einen Namen. Das spricht für den engen Bezug, den er zu seinen Tieren hat. Der Landwirt sagt, das Vieh lebt und arbeitet bei ihm mit Familienanschluss – und das meint er durchaus ernst. Das bedeutet nicht, dass es in seinem Stall zugeht wie im Streichelzoo. Im Fokus stehen die Langlebigkeit und Gesundheit der Tiere und natürlich die Milchleistung. „Ich kann den Kühen Leistung abverlangen und ihnen trotzdem zugewandt sein“, erklärt Matthias Augst. Das entspricht seiner Idee von Milchviehhaltung: „Wir arbeiten hier mit und niemals gegen die Kühe.“

Zweiflern würde er jederzeit mit einem guten Gewissen die Stalltür öffnen. Sie könnten beispielsweise erleben, wie der Landwirt eine Kuh anspricht, die sich dann erhebt und von sich aus zum automatischen Melk-Roboter trottet, um sich melken zu lassen. Sie würden auch bemerken, dass das Jungvieh gruppenweise in Tiefstreuställen mit weicher Liegefläche und viel Bewegungsfreiheit gehalten wird. Dieser Komfort macht zusätzliche Arbeit, fordert hohen Stroheinsatz und ist in der Branche längst nicht überall Standard. Den Mehraufwand leistet Matthias Augst gerne, denn er profitiert doppelt davon. Erstens: „Wir sehen, dass sich die Jungtiere auf weichem Untergrund toll entwickeln.“ Zweitens entsteht in den Tiefstreuställen Fest-Mist mit hervorragenden Düngeeigenschaften, den er auf seine Felder ausbringt. „Das wirkt sich bestens auf das Pflanzenwachstum aus.“


Auch die Milchkühe haben im Stall ausreichend Bewegungsfreiheit und eingestreute Boxen zum Ablegen. „Unsere Tiere dürfen auch selbst entscheiden, wann sie gemolken werden wollen“, betont der Landwirt. Das automatische Melk-System macht das möglich. Die Kühe können jederzeit in den Melkstand treten, wo der Automat den Rest allein erledigt. Das funktioniert – auch deshalb, weil es für die Tiere einen Anreiz gibt. „Sie wissen, beim Melken gibt es immer leckeres Kraftfutter.“ An den Leistungs- und Qualitätsdaten seiner Milch erkennt Matthias Augst: „Unsere Kühe sind gesund und es geht ihnen gut.“

Das ist vor allem das Ergebnis von artgerechter Haltung und ausgeglichener Fütterung. Den Rest besorgt ein ausgeklügeltes Gesundheits- und Vorsorgekonzept, das ebenso auf Homöopathie wie auf Veterinär-Medizin setzt. Der Landwirt steht trotz aller Kritik dazu, dass er tragende Tiere etwa sechs Wochen vor der Geburt mit antibiotischem Trockensteller behandelt. Damit minimiert er das Risiko von behandlungsbedürftigen Euterentzündungen. „Wir wollen die Sicherheit, dass sie in dieser Zeit keine Infekte der Euter erleiden.“ Dennoch sind diese Medikamente nicht die bevorzugten Mittel seiner Wahl.

Wenn es irgendwie geht, vermeidet er es. Aber Matthias Augst sagt auch, Antibiotika-Einsatz kann effektiver Tierschutz sei. „Es gibt einfache Erreger, etwa E-Coli-Bakterien, die eine Kuh ganz schnell und elend dahinraffen, wenn man nichts tut.“ Besorgte Verbraucher beruhigt er: Antibiotika-Reste kommen über Milch aus seinem Betrieb nicht in Umlauf. „Das stellen wir durch unabhängige Kontrollen sicher.“